Siebenschläfer
Prolog: Aufgebaut hatten uns nachher nur zwei Sachen: Das gleichzeitige Synchronabseilen am Doppelseil bis
die Achter glühten und das Bier am Campingplatz in Innertkirchen. Es war so eins mit Bügelverschluss auf den
Flaschen, das der Platzwart gut gekühlt anbot. Diese Flaschen haben einfach Stil und es macht schon beim Aufplöppen so einen Spaß, dass man einfach immer noch eins aufmacht.
Reibungsklettern im Siebenschläfer, 7/7+
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Irgendwo in den endlosen Granitplatten etliche Seillängen vor dem Ende hatten wir einfach die Nerven verloren. Zweimal war auch ein Griff in einen Haken nicht zu vermeiden
gewesen. Darüber frustriert fehlte es auf einmal, dummerweise uns beiden gleichzeitig, am nötigen Biss weiterzumachen.
Zwei Jahre später: Zentralschweiz, Grimselpass, hohe Berge, grüne Wiesen, steile Serpentinen, dunkle feuchte Tunnels. Hier lehnen an beiden
Seiten des Haslitals ziemlich hohe und schweineglatte Granitwände an den Bergen. Paradebeispiel für anspruchsvolle großzügige Reibungsklettereien ist die Handegg. Im linken
Wandteil zieht hier der Siebenschläfer hoch. Zum Beginn der Route kommt man über die fünf Seillängen des Engeliwegs.
Die Handegg-Felsen am Grimselpass
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Und hier lauert auch schon die erste Gefahr für nicht voll motivierte Aspiranten. Drei Meter rechts vom zweiten Stand ist so eine sofaförmige Mulde
im Granit, die alle nur so nennen und dieauch ähnlich bequem ist. Hier lässt es sich herrlich rumlümmeln, eine rauchen oder auch zwei. Den Motorradfahrern auf der Passstraße und
anderen Kletterern bei ihren verzweifelten Bemühungen gegen das Füsse wegrutschen in langen runouts zuschauen. Um dabei jeglichen eigenen Auftrieb komplett zu verlieren.
Den braucht man hier nämlich auch in hoher Dosierung. Denn hier ist der psychisch gefestigte Kletterer gefragt. Meist ist
man in reinrassiger Reibungskletterei auf glatten steilen Platten unterwegs. Griffe sind selten, Haken auch. Häufig ist man froh, seine Fingerspitzen auf eine Ansammlung von
drei, vier millimetergroße Kristalle legen zu können. Nun gut. Die ersten Seillängen des Engeliwegs sind noch einfach und ziemlich geneigt. Hier kommen wir zügig voran, obwohl
wir diesmal zu dritt sind. Wenn die Nachsteiger am Stand ankommen, hat der Sichernde es vielleicht gerade geschafft, die Hälfte des Seils einzuziehen. Doch ab der sechsten
Seillänge gilt es. Die Wand wird hier deutlich steiler. Das Griff- und Trittangebot liegt aber meistens bei null. Also cool bleiben und erst mal zum ersten Haken. Geht schon, nur nicht
die Konzentration verlieren. Immer schön die Füße aufsetzen und Arsch so weit wie möglich rausstrecken. Und ja nicht zu große Schritte machen. Sonst rutscht es. Wolfgang Güllich hat mal
Michael im Siebenschläfer
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über die Kletterei hier gesagt: „Du musst schneller klettern als die Füße rutschen“. Also versuche ich schneller zu klettern, als meine Füße rutschen. Kraft brauchst du hier keine. Absolute
Schlüsselstelle dieser Seillänge war für mich das letzte Viertel, wo dann die Konzentration doch etwas nachließ. Der gebohrte Stand war mir dann sehr willkommen.
Rückblick, wieder zwei Jahre zurück:
Auch die nächste Seillänge ist witzig. Der Fels legt sich minimal zurück, dafür liegen auch leicht 15 Meter zwischen den beiden einzigen Bohrhaken. Der zweite steckt laut Topo direkt an einer etwa brusthohen
überhängenden Stufe. Bloß ist da kein Haken. Nur einen leeren Dübel finde ich. Also locker bleiben, ist ja nur 7- die Stelle. Unter der Stufe kann ich einen Friend reinstecken. Dann stand ich da. Füße unten auf Reibung,
Hände oben aufgelegt. Der Blick schweift hinunter zum Friend. Keine Ahnung ob der gut liegt, meine Erfahrung mit Keilen ist doch noch verdammt gering. Angst! Nach einer
dreiviertel Ewigkeit hat er dann verloren, der Schweinehund, mein innerer. Und ich bin anderthalb Meter weiter oben.
Diesmal erklärt sich Brandy überraschend leichtfertig dazu bereit, die Seillänge mit der Stufe vorzusteigen. Obwohl er noch gar nicht lange klettert. Ich bin erleichtert, Michael
auch . Eiskalt zieht er die Länge durch. Ein Mann ohne Nerven. Wir sind beeindruckt. Jahre später erfahre ich, dass er zu der Zeit wohl Drogen genommen hat.
Jetzt zieht die Steilheit mächtig an. Ein etwa 20 Meter hoher überhängender Riegel geht quer durch die ganze Wand. Hier kann ich mir die Arme so richtig aufpumpen, piazen,
ausspreizen und klemmen. Fein. Auch über das Eigenleben von Klemmkeilen lerne ich hier einiges dazu. Zwei Stück klimpern durch die Seilbewegungen angeregt am Seil wieder nach unten.
Es folgt ein superausgesetzter Quergang an einem waagerechten Riss. Am Ende soll es irgendwie wieder gerade hoch in geneigtes Reibungsgelände gehen. Ich sehe nur eine
Möglichkeit, die wider erwarten auch funktioniert: Voll Schwung holen und kraftvoll durchmantlen, dass das Material am Gurt noch fünf Minuten später klappert. Jetzt folgen
noch etliche endlose Seillängen über Platten, Rissspuren, Pfeiler und immer wieder Reibungsplatten. Die Route will kein Ende nehmen, die Zeit vergeht, es wird später. Die
Jungs haben mich jetzt als alleinigen Vorsteiger auserkoren. Angeblich, weil das Umbinden des Doppelseils zu lange dauern würde. Einige Nebelschwaden ziehen plötzlich vorbei, es
wird kühler. Doch dann, keiner hat mehr dran geglaubt, ist es zu Ende. Ein geneigter Buckel, einige Büsche, zwei Bohrhaken. Das Ende des Siebenschläfers. Alles wieder
abseilen, 14 Seillängen, es dämmert langsam. Wir sind etwas geplättet – und zufrieden.
Ulrich Schlieper, Juli 2002
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